Wohlfühlorte in Büchern - Luxus pur


Viele behaupten das Lesen sei eine Flucht aus der Realität – Hand aufs Herz und nicht geflunkert, so ganz kann ich diesen Gedanken nicht von mir weisen. Aber warum sollte das etwas Schlechtes sein? Warum betrachten viele Menschen diese Flucht als unangebracht?

Selbst Sozialpsychologen sagen, dass wir der geballten Realität nicht entgegentreten können, ohne das Risiko daran zu erkranken. Wir brauchen unseren weichen Puffer aus Illusionen, Regenbögen und Feenstaub. Es muss Zeiten geben, in denen wir Abstand nehmen können, von all dem Leid dieser Welt, um Kraft zu tanken. Wer einen Airbag hat, gegen die brutale Realität, der lebt gesünder und übersteht auch schwierige Lebensphasen besser. Woody Allen meinte, dass es besser sei, dass wir uns alle etwas vorlügen, statt an der Realität zugrunde zu gehen.

Ich verstecke mich zwar gerne hinter Zynismus, aber letztlich gibt es bei mir auch immer Phasen im Leben, in denen ich Bücher mit Happy End Garantie brauche - an manchen Tagen muss einfach ein Liebesroman gelesen werden.
Lesen, das bedeutet ganz viel Gemütlichkeit und mit ein wenig Glück, das ganz große Kopfkino. Da kann es draußen regnen, schneien oder stürmen, kaum öffnet man die Buchdeckel, kann man in die Karibik, ins sommerliche Paris oder in eine einsame Berghütte mit loderndem Kamin flüchten. Und es ist nicht nur wie ein kompakter, kleiner aufschlagbarer Urlaub, wie man ihn vielleicht auch buchen könnte, sondern bietet darüber hinaus auch noch die Erfahrungen zaubern zu können, das Böse zu besiegen, sich zu verlieben und manchmal auch auf einem Drachen über das Land zu fliegen.
Bücher bieten uns ein Leben, fern ab von unserem eigenen. Kein Wunder also, wenn es sowohl Autoren als auch Leser so häufig ins pralle Luxusleben zieht.
Die Protagonisten sind schön, schlank und reich. Sie leben in wunderschönen Häusern, haben Traumberufe und jedes der Pärchen darf eine berechtigte Hoffnung auf ein gehauchtes ‚Ja‘ hegen, ohne dass dabei die Scheidungsstatistiken wie ein Damoklesschwert über der Trauung schweben.

Erst kürzlich habe ich ‚Sommersehnsucht‘ von Nora Roberts gelesen und diese Photoshopversion eines Lebens hat mich länger beschäftigt.
Emma und ihre Freundinnen betreiben in dieser Buchreihe, eine Hochzeitsagentur namens ‚Vows‘, welche in einem herrschaftlichen Landsitz untergebracht ist. Zwischen den Freundinnen gibt es weder Neid noch Eifersucht, sind sie doch alle gleich schön und erfolgreich, jede auf ihrem Gebiet. Daraus ergibt sich kein Konkurrenzkampf, sondern ein eingespieltes Team.
Emma ist Floristin aus Leidenschaft. Morgens werden im hauseigenem Fitnessstudio Gewichte gestemmt, denn schlank alleine reicht heutzutage ja bekanntlich leider nicht mehr aus und tagsüber werden Gestecke und Blumentöpfe gestemmt. Es wird in erotischer Unterwäsche von ‚La Perla‘ geschwelgt und der Sex ist natürlich fantastisch. Ein Wochenende in New York verbringt man stilvoll im Waldorf Astoria mit Fünf-Gänge-Menü, Rosen und Champagner mit Erdbeeren - so viel zum Luxus, um nicht zu viel zu verraten.
Ist es nicht das, was wir uns alle insgeheim wünschen? Einmal aus dem Vollen zu schöpfen?

Diese Märchen für Erwachsene sind leider viel zu schön, um wahr zu sein, zumindest für uns, die eher durchschnittlichen Leserinnen, aber dafür lesen sie sich so flüssig, wie heiße Schokolade mit einem extra großen Häubchen Sahne. Aus dieser Nahrung für die Seele, tanken wir dann auch wieder die Kraft uns unserem eigenen Leben und Problemen zu stellen.
Eigentlich sollten Liebesromane auf Rezept verschrieben werden, nichts kann ‚Frau‘ besser entspannen, sofern ihr Verlangen nach Romantik, ihr Glaube an Märchen und Wunder nicht schon restlos von der Realität verschüttet wurden.

Es ist ja auch ein wenig so, als hätten wir unser Aschenputtel-Kleid, mit dem der Prinzessin getauscht, und wenn es nur bis zur letzten Buchseite ist. Wir konnten in Luxus schwelgen, teure Kleider, Schuhe mit schwindelerregenden Absätzen tragen und wenn wir in der Haut der Protagonistin shoppen gingen, brauchten wir auch nicht darüber nachzudenken, ob der Kauf der schönen Handtasche bedeutete, dass wir den Rest des Monats von Nudeln und Tomatensauce würden leben müssen. Der Prinz in diesem Märchen hat uns glaubwürdig ewige Liebe versprochen. Er trug uns auf Händen, erfüllte uns jeden Wunsch und krönt diese Liebe mit dem größten Diamanten, den es bei Tiffany zu kaufen gab.
Haben wir uns diesen Ausflug ins Leben, in dem Champagner und Cocktails fließen, nicht verdient? Man benötigt keine Drogen, noch nicht einmal Alkohol und das Ticket, in dieses Traumland kann man ganz legal, in jeder Buchhandlung oder dem Internet erstehen. Es macht nicht dick (sofern man nicht nebenbei nascht), es ist ungefährlicher, als selbst auf Skiern die steilen Berghänge von St-Moritz herunter zu wedeln oder mit einer Yacht in einen schicksalhaften Sturm auf dem Meer zu geraten.

Auch im Fernsehen bzw. auf Bluray oder DVD, ziehen wir ein Leben im Reichtum vor. Ob es Fran Fine ist, die sich als Nanny, sowohl von Mr. Sheffield, als auch von Butler und Lifestyle verzaubern lässt, oder die vier Grazien aus ‚Sex and the City‘, die mit Manolo Blahniks New York und die Herzen der Upperclass-Männer erobern. Wer wäre nicht gerne in Carrie Bradshaws hippe Designer-Klamotten geschlüpft, um Rotwein zu schlürfen und sich nebenbei von Mister Big bekochen zu lassen? Bei ‚Gossip Girl‘ gibt es nicht nur Intrigen, sondern wundervolle Kleider, Loftwohnungen und all das, was reiche Kids sich leisten können. Und natürlich Bollywood - Farben, Musik, große Gefühle, Sportwagen, Luxus-Anwesen und Männer, die gerne und gut tanzen.

Irgendwann vor Jahren, habe ich eine Studie gelesen, die belegte, dass das Lesen von Liebesromanen, dafür sorgt, dass die gleichen Hormone ausgeschüttet werden, wie beim richtigen Erleben. Ich kann es mir gut vorstellen, belegen doch viele weitere Forschungen, dass es unserem Gehirn schwer fällt, Vorgestelltes und Reales zu unterscheiden.

Natürlich gibt es auch Serien und Bücher, die eher realistisch oder sozial-kritisch sind, aber ganz ehrlich: Das habe ich jeden Tag.
Ich weiß, es gibt Kritiker, die meinen, dass diese Vorstellungen vom Happy End, das Gehirn von Lesern nur verzuckern und verkleben, aber das glaube ich nicht.
Die Frauen, die ich kenne und die sich regelmäßig dieser Art der Lektüre zuwenden, sind Frauen, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Dabei können sie Verkäuferinnen sein, ebenso wie OP-Schwestern oder Staatsanwältinnen. Viele von ihnen sind glücklich verheiratet, und haben nicht auf Mr. Right gewartet, der genauso ist, wie die gutgebauten Helden in den Geschichten. Vielleicht sind ihre Ehen auch noch intakt, gerade weil ihre romantischen und oftmals unerfüllbaren Erwartungen in Romanform befriedigt werden. Wer mag das schon zu beurteilen?

Wenn es mich wieder einmal richtig erwischt hat und ich ganz dringend einen Erholungsort brauche, der mich völlig entstresst, dann greife ich zu den Büchern von Georgette Heyer, reise in holprigen Kutschen zu einem Ball, warte mit klopfendem Herzen auf den Brief des Liebsten, tauche aus einem vollendeten Knicks vor einem ehrenwerten Gentleman auf. Kein Smartphone, keine Hektik stört die Harmonie. Jeder kennt die gesellschaftlichen Spielregeln und muss sich keine Gedanken darüber machen, wie man sich richtig beim Dating verhält. Meine Heldinnen sind unerschrocken, tapfer, aber immer ganz Lady. Oder ich schaue ‚Stolz und Vorurteil‘, ärgere mich auch über den stolzen Mr. Darcy, der nicht mit den Dorfschönheiten tanzen will und hoffe trotzdem, dass er und Lizzy zueinander finden. Und ja, ich weiß, dass Regency und auch das Viktorianische Zeitalter nur für die Reichen komfortabel war und so geht es in meinen Lieblingsromanen auch immer um ihre Ladyschaft und den Lord mit dem herrschaftlichen Landsitz und dem Haus in London.

Ich finde es jedenfalls angenehm beruhigend, zu wissen, dass ein neuer Wohlfühlort nie weiter als ein Buchregal oder eine Buchhandlung entfernt liegt und nur darauf wartet, von mir entdeckt zu werden.

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